Plötzlicher Gefäßverschluss
Der Begriff Ischämie (griech.: ischein = zurückhalten, hindern) bezeichnet eine Verminderung oder Unterbrechung der Durchblutung eines Organs, Organteils oder Gewebes in Folge mangelnder arterieller Zufuhr (durch Thrombose, Embolie, Gefäßspasmus).
Unter akuter Ischämie einer Extremität versteht man jede plötzliche Abnahme oder Unterbrechung der Durchblutung einer Gliedmaße, die eine mögliche Bedrohung ihrer Erhaltung darstellt.
Das Ausmaß der peripheren Ischämie richtet sich nach der Lokalisation und Länge des Gefäßverschlusses sowie nach dem Vorhandensein ausgebildeter Kollateralen. In einem gesunden Gefäßsystem kann z.B. ein kurzstreckiger embolischer Verschluss der Oberschenkelarterie zum Absterben der Unterschenkelmuskulatur führen, da die Ausbildung von Kollateralbahnen länger dauert als die tolerable Ischämiezeit der Muskulatur. Andererseits ruft ein langstreckiger Verschluss der Oberschenkelarterie auf dem Boden einer vorbestehenden chronischen Stenose oft nur eine geringe klinische Symptomatik hervor, da die Kollateralisation bereits weitgehend entwickelt ist.
Im Einzelfall kann der Verlauf eines akuten Gefäßverschlusses mit seinen Auswirkungen auf das periphere Gewebe nie mit Sicherheit vorausgesagt werden.
Klinische Symptome reichen von geringen, von den PatientInnen oft nicht beachteten Beschwerden bis zum kompletten neurologischen Defizit (völlige Parese der Extremität) – je nach Schweregrad sind folgende Symptome und klinische Zeichen vorhanden (die fünf oder auch sechs P von G.H. PRATT; 1954).
- Schmerz (Pain)
- Pulslosigkeit (Pulselessness)
- Blässe (Pallor)
- Gefühllosigkeit (Paresthesia)
- Lähmung (Paralysis)
- Schock/Erschöpfung (Prostration)
Die Behandlung einer akuten Ischämie stellt eine Situation dar, die notfallmäßig zu behandeln ist. Jede Verzögerung in der Behandlung des Gefäßverschlusses vergrößert das Risiko des Extremitätenverlustes.
Die sofortige chirurgische Thromboembolektomie gilt als indiziert in einer komplett ischämischen Extremität.
Die Embolektomie erfolgt in der Regel über den Zugangsort der Wahl; (d.h. an der unteren Extremität über die Femoralisgabel, also die Leiste; an der oberen Extremität über die A. cubitalis, also über die Ellenbeuge).
Weil in etwa einem Drittel aller Fälle Thromben zurückbleiben können, ist ein Verfahren zu wählen, das die erfolgreiche Entfernung des Gerinnsels nachweist (üblicherweise die sogenannte Abschlussangiographie).
Sollten distale Okklusionen zurückbleiben, ist eine Aspirationthrombektomie (Absaugen der Thromben) mit speziellen Kathetern anzuwenden. Außerdem wird die zu Grunde liegende Gefäßläsion (z.B. Stenose, chronischer Verschluss) durch interventionelle Kathetertechniken oder operative Maßnahmen (z.B. Bypassoperation) korrigiert.
Die plötzliche Rückkehr von oxygeniertem Blut in die ischämisch geschädigte Muskulatur erzeugt freie Sauerstoffradikale und führt damit zur Zellschädigung. Dies kann einen sogenannten Reperfusionsschaden der betroffenen Muskulatur verursachen. Mit dieser Komplikation nicht zu rechnen, kann sehr rasch zum Kompartment-Syndrom und zu Muskelnekrosen führen.
Die Vorbeugung des Kompartment- Syndroms besteht im Wesentlichen in einer Fasziotomie der betroffenen Extremität.
Besteht eine komplette Ischämie einer Extremität über einen Zeitraum von mehr als 8–10 Stunden, muss unter kritischer Abwägung der vorbestehenden Organschäden und des Ausmaßes der ischämischen Muskelschädigung eine primäre Amputation der Extremität erwogen werden.
Nach Überwindung des Akutereignisses muss im Rahmen der Nachsorge eine adäquate Behandlung der Grunderkrankung erfolgen, um Rezidiven vorzubeugen. Diese besteht bei embolischen Verschlüssen, insbesondere bei Vorliegen einer absoluten Arrhythmie und Vorhofflimmern in der Antikoagulation auf unbestimmte Zeit. Zugrunde liegende organische Ursachen (z.B. Popliteaaneurysma) müssen elektiv korrigiert werden; also Sanierung des Emboliestreuherds.