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Compliance

Compliance versus Noncompliance in der Organtransplantation

Die Effektivität einer Behandlung hängt nicht nur von der Wahl der richtigen Therapie ab, sondern wesentlich auch von der Mitarbeit des Patienten (compliance) am Behandlungsplan. Im wesentlichen wird unter dem Begriff compliance – für den im Deutschen keine adäquate Übersetzung gelungen ist - immer die Befolgung ärztlicher Anordnungen durch den Patienten gemeint: wie viel von dem, was Ärzte ihren Patienten raten, tun diese wirklich? Fehlende oder mangelnde Compliance (Noncompliance/ Compliancestörungen) führen neben den oft fatalen Konsequenzen für den Patienten und seine Familie auch zu Vergeudungen von Ressourcen und Geldmittel: erstens durch Nichterreichen eines durchaus möglichen Therapieziels, zweitens durch hohen finanziellen Aufwand bei der Behandlung vermeidbarer Erkrankungen. Das eindrucksvollste Beispiel der Konsequenzen von Noncompliance betrifft Patienten der Organtransplantation. Lebenslange korrekte Einnahme von immunsuppressiven Medikamenten ist Voraussetzung für gute Organfunktion, und Noncompliance diesbezüglich ist oft verbunden mit späten akuten Abstoßungsreaktionen, Organverlust und Tod. Es wäre daher zu vermuten, daß gerade transplantierte Patienten eine höchst motivierte, höchst compliante Patientengruppe darstellen. Dies ist jedoch nicht der Fall: die Noncompliancerate liegt global bei 20 bis 50%. 

Bei Untersuchungen über Noncompliance in der Transplantation werden zwei verschiedene Arten aufgezeigt: 

  • die klinische Noncompliance bezieht sich auf das Auftreten eines klinisch faßbaren Ereignisses und ist objektivierbar (z.B. Abstoßungsreaktion, Organverlust oder Tod durch nicht korrekte Medikamenteneinnahme)
  • die subklinische Noncompliance bezieht sich auf Situationen, die (noch!!) nicht zu einem klinisch faßbaren Ereignis führen, aber es potentiell tun können. Sie ist oft (noch) nicht objektivierbar.

Die erste Form ist quasi “die Spitze des Eisbergs” die nur eine geringe Anzahl aktueller Noncomplier umfaßt, während die zweite den Eisberg als ganzes umfaßt, weil ihre Erforschung es ermöglichen könnte, alle noncomplianten Patienten unabhängig von ihrem derzeitigen klinischen Status zu erfassen und krankheitsauslösende klinische Ereignisse bereits im Vorfeld zu verhindern.
Ferner gibt es unterschiedliche Bereiche der Compliance, die oft in Kombination auftreten, und zwar im wesentlichen hinsichtlich Medikamenteneinnahme, Nachuntersuchungsterminen, Diätvorschriften, Alkoholkonsum, Rauchen, Mitteilung über körperliche Störungen.

Es ist bisher weltweit nicht gelungen ist, Compliance / Noncompliance verläßlich vorherzusagen. Es wurde jedoch durch die zahlreichen Studien klar, daß es Faktoren gibt, die Compliancestörungen mit höherer Wahrscheinlichkeit vorhersagen lassen. Es sind dies:

  • das Alter des transplantierten Patienten: eine kritische Phase bezüglich mangelnder Compliance (in jeder Hinsicht, aber gravierend in ihren Auswirkungen für die Organtransplantierten) ist die Adoleszenz - im wesentlichen das Alter zwischen 14 und 21 Jahren
  • Bereits präoperativ bekannte schlechte Compliance oder sogar Noncompliance bezüglich verschiedener Bereiche (Ambulanztermine nicht eingehalten, Untersuchung aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt, Eigenmedikation oder Umstellung nach eigenen Ideen, Alkohol-, Nikotinkarenz, Diätempfehlungen nicht befolgt) scheint sich laut zahlreichen Studien in postoperativen Compliancestörungen fortzusetzen.
  • Von den psychologischen Variablen sind es vor allem Angst, Ärger/ Feindseligkeit sowie Verleugnung/ Verdängung, die Complianceprobleme bedingen können. Das Leugnen der Therapiebedürftigkeit, der Notwendigkeit der Nachkontrollen, das Beharren auf Unverwundbarkeit ist oft der direkte Weg zur Krankenhausaufnahme wegen akut therapiebedürftiger Symptome, die sich aus Noncompliance ergeben haben.
  • Als weitere Erschwernisse für gute postoperative Compliance wurde mangelnde oder schlechte soziale Unterstützung, psychiatrische Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen sowie alle Arten der Abhängigkeit (v.a. Alkohol, Nikotin, Drogen) genannt.

Dem Transplantationsteam muß klar sein, daß Patienten mit noncompliancebegünstigenden Faktoren (also z.B. Organempfänger in der Pubertät) per se als “high risk - patients” anzusehen sind, viel engmaschiger betreut werden müssen und viel mehr Aufmerksamkeit, Zuwendung und Führung bedürfen.

Das am meisten beforschte Gebiet ist die Noncompliance hinsichtlich der Einnahme der immunsuppressiven Medikamente (medical compliance), die mit einem lamgfristigen Erfolg einer Transplantation unabdingbar verbunden ist. Obwohl die Patienten wissen, daß diese Medikamente den Organerhalt erst errmöglichen und eine Abstoßungsreaktion hintanhalten, nehmen über alle Transplantationsarten hinweg ca. ein Fünftel aller Patienten diese Substanzen nicht, nicht regelmäßig, nicht in exakter Dosis, nicht zu gegebenen Zeiten ein. Die Forschung zeigt ferner einen hohen Zusammenhang zwischen der Compliance bezüglich der Medikamenteneinnahme (medical compliance) und jener bezüglich des Wahrnehmens von Nachuntersuchungsterminen in der Ambulanz (appointment compliance) Da appointment noncompliance der Beobachtung sofort zugänglich ist, sollte sie als Warnsignal für medical noncompliance dienen: Wer die Nachuntersuchungstermine unzuverlässig einhält, dessen Medikamenteneinnahme sollte höchste Aufmerksamkeit zukommen, um sublinche Noncompliance so schnell wie möglich identifizieren und späte Abstoßung hintanhalten zu können. Die Noncompliance-Bereiche körperliches Aufbautraining und Einhalten von Diätvorschriften (vorrangig zur Verhütung von Übergewicht) hängen eng zusammen und zeigen bei vielen Patienten mangelnde Compliance.

Die Ergebnisse der Studien lassen vermuten, daß zwischen einem Drittel und einem Viertel der untersuchten Patienten kaum körperlich aktiv und übergewichtig sind. Das Compliance-Problem bezüglich des Zigarettenkonsums zeigt sich erst in den neuen Arbeiten in all seiner Relevanz und Brisanz. Die meisten präoperativ rauchenden Patienten hatten im 2. Jahr postoperativ wieder zu rauchen begonnen. Die Überlebenskurve zeigte in zahlreichen wissenschaftlichen Studien eine signifikant schlechtere Prognose für prä- und postoperative Raucher als für Nichtraucher: Daraus folgert, daß Rauchen sowohl die Morbidität als auch die Mortalität nach Herztransplantation dramatisch erhöht. 

Aus all diesen Ergebnissen ist zu schließen, daß sogar bei der Gruppe der Transplantierten, von denen man hohe Motivation zur Mitarbeit erwarten sollte, die Rate von mangelnder Compliance unverhältnismäßig hoch ist verglichen mit dem Risiko, das sie damit eingehen. In einigen Untersuchungen wurde auf die Gründe dieser Noncompliance eingegangen, indem die Patienten danach gefragt wurden. Aus diesen sehr subjektiven Antworten zeigten sich zusammenfassend die folgenden Gründe für Noncompliance:

  • Kosten der Medikamente (vor allem in den USA)
  • Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie
  • mangelnde familiäre Unterstützung
  • wenig Selbstwert
  • Verleugnung der Notwendigkeit
  • Lebenskrisen
  • Vergesslichkeit
  • nicht genug Information
  • Kontrollverlust
  • große Anzahl an Medikamenten
  • Ärzte haben zu wenig Zeit
  • Konflikt zwischen der rationalen Anordnung des Arztes und dem irrationalen Widerstand des Patienten

Aus den Erkenntnissen der täglichen Arbeit am Herztransplantationszentrum in Wien mit nunmehr ca. 1000 herztransplantierten Patienten seit 1984 sollen noch folgende Gründe für mangelnde Compliance hinzugefügt werden:

  • psychosoziale Belastungskrisen, z.B. Streit, Arbeitslosigkeit
  • schlechtes Medikamentenimage, z.B. bei Cortison
  • Umstellung auf andere Medikamente, z.B. anderes Immunsuppressives Medikament.
  • Anpassungsstörung, charakterisiert durch das Gefühl, unmöglich zurechtzukommen. Dies ist verbunden mit Depression, Angst, Rückzug.
  • posttraumatische Belastungsstörung als Reaktion auf eine ehemalige Bedrohung des Lebens (in der Wartezeit). Sie äußert sich u.a. in Schlafstörungen, schlechten Träumen, Schuldgefühlen, überlebt zu haben, kommt gehäuft vor bei Patienten mit schwerem postoperativem Psychosyndrom. Die Patienten vermeiden jede Situation, durch die spezifische Erinnerungen wachgerufen werden (Ambulanz!)
     

Zusammenfassung

Studien zur Noncompliance nach Organtransplantation erbrachten zusammenfassend folgende wichtige Ergebnisse:

  1. Es ist nicht möglich, Compliance/ Noncompliance verläßlich vorherzusagen. Jedoch gibt es Faktoren - allen voran das Alter des Patienten - die die Wahrscheinlichkeit für postoperative Compliancestörungen erhöhen.
  2. Die Compliance nimmt mit zunehmender Zeit nach erfolgter der Transplantation ab 
  3. Die Noncompliancerate in der Organtransplantation ist im Hinblick auf die Gefahr des Transplantatverlusts unverhältnismäßig hoch. 
  4. Es gibt einen signifikanten Zusammenhang zwischen Noncompliance einerseits und Transplantatverlust und Tod andererseits. 
  5. Mangelndes Wissen um die Gegebenheiten der Transplantation ist keine bedeutsame Grundlage für Noncompliance. 
  6. Die Gründe für Noncompliance können bei der Mehrzahl der Patienten nicht identifiziert werden. 
  7. Es gelingt nur bedingt, durch die verschiedensten compliancefördernden Maßnahmen die Compliance zu erhöhen bzw. noncompliantes Verhalten zu verhindern.